Schellbacher Schneegeschichte
Der Winter 1976 war nicht nur kalt. Es schneite auch viel. Und wenn es das tat, spielte sich jedes Mal dasselbe Szenario ab: Niemand außer mir räumte seinen eigenen Parkplatz vom Schnee frei. Und so blieb mir nichts anderes übrig, als die weiße Pracht rund um mein Auto selbst wegzuschaufeln. Am schwersten war der zusammengedrückte Schnee, den der Schneepflug am Parkplatzrand hinterließ. Er war hart wie Beton. Ich hatte hinterher stets Muskelkater. Wenn ich bei meiner Rückkehr wieder diesen Parkplatz vorgefunden hätte, wäre es nicht wert, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Doch jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, stand bereits ein anderes Auto auf meinem sorgfältig ausgeschöpften Platz und ich musste mir einen neuen freischaufeln. Also hieß es für mich: Tu was dagegen!
„Bitte haben Sie die Güte ...“, begann ich auf ein DIN-A4-Blatt zu schreiben. Ich zerriss es gleich wieder. Niemand von diesen exzentrischen Führerscheinfrischlingen und bereits Autobesitzern würde „die Güte haben“. Das klang nach Frieda.
Ich begann von neuem, diesmal anders: „Da ich Rückenprobleme habe, würde ich mich freuen, wenn ...“ Nein, auch nicht. Das klang ja noch mehr nach Frieda, nach Selbstmitleid. Aus und zerrissen! Weg damit!
„Die sollen Angst bekommen, richtige Angst!“, schoss mir James Bond in den Kopf. Ich schrieb nun: „Wer zu faul ist, sich selbst einen Parkplatz freizuschaufeln, und sein Auto auf meinen Parkplatz stellt, der kann sich auf etwas gefasst machen!“ Vielleicht glauben sie dann, den Zettel habe ein Karate-Meister geschrieben. Ich fügte noch hinzu: „wenn ich um 22 Uhr heimkomme!” Das „der kann sich auf etwas gefasst machen!“ unterstrich ich zweimal. Den Zettel klebte ich an die Eingangstür, dort, wo sie alle vorbeimüssen: der muskulöse Werner, ein Extrem-Skitourengeher, der gut trainierte Ulrich, dem sein rheumatischer Vater ab und zu das Auto putzt, die sportliche Eva, die täglich ins Fitnessstudio steppen geht, der Herr vom Alpenverein, der viel wandert und joggt, und all die anderen Autobesitzer dieses Hauses.
Ich schöpfte den Platz rund um mein Auto wieder frei, räumte mit größter Mühe auch den hartgefrorenen Haufen am Rand weg. Mit Genugtuung sah ich im Rückspiegel das Resultat mühevoll geleisteter Schwerstarbeit. Heute würde es sich gelohnt haben!
Ich kam spätabends zurück. In der Zwischenzeit hatte es nur einen lächerlichen Zentimeter dazu geschneit. Entsetzt bremste ich: Auf meinem Parkplatz stand schon wieder ein Auto! Ein Golf mit tief liegenden Stoßstangen, aufgemotzt wie ein Sportwagen. Verflixt nochmal! Das darf nicht wahr sein! Ich fluchte laut, und zwar Wörter, die ich normalerweise nicht sage. James Bond sprach vor.
Da sah ich einen breitschultrigen kahlgeschorenen Mann hinter dem aufgemotzten Sportwagen hervorkommen, die Hände provozierend in die Hüften gestemmt. Im Licht der Straßenlampe konnte ich an seinem Hals ein Tattoo mit einem Drachen erkennen, an einem Handgelenk trug er eine dicke, versilberte Kette. Für mich wirkte er wie ein Schlägertyp. Oder wie ein Karate-Meister? Ich hatte ihn noch nie gesehen.
Oh. Da habe ich mich auf was eingelassen! Damit hatte ich nicht gerechnet. Mach dich klein und duck dich, Emeli! Nein, kommt überhaupt nicht in Frage! Zeig Größe!
Nun verschränkte er die Arme. Er hatte wohl auch nicht damit gerechnet, mich, eine junge Frau, hier zu sehen. Ich ließ das Fenster hinunter. Unschlüssig sahen wir uns an. „Wo ist dein Mann?“, fragte er mit lauter Bass-Stimme. James Bond war urplötzlich da: „Ich habe keinen Mann“, antwortete auch ich mit meiner lautesten Stimme. Und er: „Was? Willst etwa du mich verhauen?“ Als ich eine gewisse Erheiterung in seinem Gesichtsausdruck wahrnahm, kehrten mein Mut und meine Fassung zurück. Und James Bond gab Vollgas: „Heute mache ich nochmal eine Ausnahme!“, rief ich streng. „Aber nur heute! Das nächste Mal bist du dran!“
Er bog sich noch vor Lachen, als er zur Seite deutete und mich einwies. Ich sah, dass er inzwischen eine ganze Reihe von Parkplätzen vom Schnee geräumt hatte.
Feichter schlägt in ihren Erzählungen einen scheinbar naiven Ton an – der gerade deshalb deutlich macht, wie verklemmt und duckmäuserisch wir einmal waren. Der Ton deckt die innere Befindlichkeit Südtirols zu einer Zeit auf, als sexuelle Revolution, autofahrende Frauen und ein wenig Rebellion das Land bedrohten. Komisch und witzig ist es auch. Man darf sich wiedererkennen in diesem Buch, man kennt Frieda.
Georg Mair, ff – Das Südtiroler Wochenmagazin
Feichter liebt das Fabulieren und Lautmalen, sie entlarvt in bestechender Präzision die Idiotien einer untergegangenen Aufbruchszeit und ist dabei dennoch manchmal ganz zart und sehnsuchtsvoll.
Nina Schröder, Kultur am Samstag, RAI Südtirol
Der Roman ist eine Absage an Scheinheiligkeit, Ängstlichkeit und Engstirnigkeit und versteht sich als Hommage an Offenheit, Mut und Lebenslust.
Pustertaler Zeitung
Und so erzählt der Roman von einem gewöhnlichen Leben eines Mädchens, das zur Frau heranwächst und irgendwann sich selbst findet.
Elisabeth Pörnbacher, Zett
Das Buch liest sich fast in einem Atemzug und wird niemals langweilig – kurz: heiter, witzig, originell.
Monika M., Weltbild.de
Amüsant erzählt, mit schlauem Witz und frechem Augenzwinkern sowie mit der Gabe, über sich selbst zu lachen, was dieser Erzählerin die größte Freiheit verschafft: über Selbsterkenntnis und Humor zur Annahme eigener und fremder Unzulänglichkeiten zu gelangen.
Brenner-Archiv, Florian Braitenthaller (zur Rezension)
Vieles erinnert an die frühen Traditionen in den Familien in Südtirol, für eine/n Südtiroler oder Südtirolerin gut nachvollziehbar. Es stellt die Personen teils klischeehaft, teils naiv dar – aber so waren sie auch nach den 1960ern. Das „Friedeln“ ist auf jeden Fall eine wunderbare neue Wortschöpfung und definitiv ein erstklassiges Leitmotiv für den Roman.
BookBroker, Evelyn Unterfrauner
Leichter verdaulich kann man einen Entwicklungsroman mit viel biografischem Einschlag nicht schreiben – womöglich auch kaum schelmischer.
Roger Pycha, Kulturelemente
13 x 21 cm | 120 Seiten
ISBN: 978-88-7283-540-1
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